Gegenstimmen: “Abreißen – aber ganz, ganz schnell!”

Sehen Sie sich Bilder der Nutheschlange an. Ein Park mit Teich! Mannshohes Schilf.  Häuser, die nicht nur am, sondern direkt über dem Wasser liegen. Stege, kein Verkehr, kein Lärm, nur spielende Kinder!

Und jetzt kommt‘s: Wir wollen hier wohnen bleiben! Überrascht Sie das?

Was uns überrascht sind Sätze wie die folgenden, die wir immer wieder in Potsdam zu hören bekommen. Diese Sätze sind typisch und spiegeln die Ansicht vieler Potsdamer zum Thema „Nutheschlange“ wieder:

  • „Immer wenn ich auf der Autobahn fahre, muss ich diese hässlichen Gebäude sehen.“ (gemeint sind die Schmetterlingshäuser)
  • „Was, Sie wohnen in der Nutheschlange, die soll doch abgerissen werden – habe ich in der Zeitung gelesen.“
  • „Das ist doch alles voll Schimmel, das kostet uns doch Millionen.“

Und alles mündet meist sinngemäß in dem Satz: „Das muss abgerissen werden – aber ganz, ganz schnell.“

Wir versuchen das zu verstehen. Offenbar hat gerade der Mensch, der auf der Autobahn fährt, ein plötzliches Bedürfnis nach Ästhetik. Dann blickt er auf die Schmetterlingshäuser – eine ungewöhnliche Architektur mit organischen Formen, schiefen Winkeln in mintgrünen Farbtönen. Das kennt der Autofahrer nicht, das stört ihn! Er fragt sich: Welche armen Menschen müssen da nur wohnen, direkt an der Autobahn. Schrecklich! Dann liest er in der Zeitung, dass die Häuser dort saniert werden müssen und jedes Mal aufs Neue, wenn er daran vorbeifährt, spürt er nahezu, wie diese grauenhaft ungewohnte Architektur wie ein Magnet an seinem Geldbeutel zieht und sein Geld – jawohl, sein Steuergeld – ansaugen will, ein großes mintfarbenes Loch ohne Boden. Da kann es nur eine Lösung geben: Weg damit! Abreißen!

Was unser Autofahrer nicht sieht, sind der Teich, das Schilf und die Häuser auf Stelzen hinter den Schmetterlingshäusern. Die Schmetterlingshäuser selbst sind so konzipiert, dass der Lärm der Autobahn maximal gedämpft wird; gleichzeitig dienen sie als riesige Schallschutzwand für die Nutheschlange. Das heißt: obwohl die Nutheschlange sehr nah an der Autobahn liegt, ist es dort idyllisch ruhig!

Würde man die Schmetterlingshäuser abreißen, dann würde der Blick frei auf die Hochhäuser und Plattenbauten dahinter. Das ­wäre der gewohnte Anblick in deutschen Städten, darüber regt sich dann niemand mehr auf.

­­Woher kommt dieser rechte Widerstand, der Wunsch nach Vernichtung einer Architektur – die anders ist?

Zum einen liegt das an einer – in der Vergangenheit – einseitigen Berichterstattung, da Schlagzeilen nur produziert werden, wo auch ein reißerischer Effekt erzielt werden kann. Die ProPotsdam selber verunglimpft ihr eigenes Vorzeigeprojekt Nutheschlange als „kompletten Sanierungsfall“ und wirft absolute Zahlen von Millionenbeträgen in die Presselandschaft. Suggeriert wird dabei unterschwellig, die Ursachen für die Sanierung lägen im Grundkonzept der Siedlung, der Architektur und da das Grundkonzept falsch ist, müsste eben alles weg.

Jeder der ein Haus gebaut hat weiß aber: Mängel liegen meist in der Bauausführung und der Planung. Und diese hat die ProPotsdam beim Bau der Nutheschlange rigoros an sich gerissen.

Da liest zwar der Zeitungsleser heute schon nur die Hälfte der Überschrift – statt „Kopf der Nutheschlange soll abgerissen werden“ wird verstanden: „Die Nutheschlange soll abgerissen werden.“ Aber vielleicht ist hier der unaufmerksame Zeitungsleser der Wahrheit näher, als uns die offizielle Lesart glauben machen will. An der Rhetorik der ProPotsdam, dem „kompletten Sanierungsfall“ kann man jedenfalls erkennen, wohin die Reise gehen wird.

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