Idyll hinter der Schnellstraße wird auf Verschleiß gefahren
Warum die Bewohner der Nutheschlange mit dem Architekten Hinrich Baller für den Erhalt kämpfen // das Ende von KIZ Kneipier Peter Bendig vor dem Corona Lockdown
Zentrum Ost ein Park mit Teich. Mannshohe Schilfhäuser, die nicht nur am, sondern direkt über dem Wasser liegen: Stege, kein Verkehr, kein Lärm spielende Kinder, augenscheinlich eine Idylle und das soll abgerissen werden?
„Und jetzt kommt’s. Wir wollen hier wohnen bleiben! Überrascht Sie das sagt Ane Esdohr. Der Blick in die Wohnzimmer zeugt von zufriedenen Bewohnern, die hier im Zentrum Ost von Potsdam ihr zu Hause gefunden haben.
Nur der Blick hinter die Kulissen zeugt von viel Ärger mit dem Eigentümer der Nutheschlange, die wie eine Schallschutzwand an der vierspurigen Nuthe-Schnellstraße L40 den Lärm abhält.
Vögel zwitschern, der Feierabendverkehr Potsdams ist nur aus der Entfernung zu hören, obwohl er direkt an derWohnzeile entlang führt
Woher kommt der Wunsch nach Vernichtung einer Architektur, die anders ist, fragen sich viele der 700 Bewohner in den exzentrischen Häusern.
Lage,Lage,Lage -so heißt es unter Immobilienexperten. Und die ist gut. Das Wohngebiet Zentrum Ost wurde von 1972 bis 1978 entlang der Havel mit fünf-, elf- und 15-geschossigen Wohnhäusern errichtet. Dort wohnen heute mehr als 5100 Einwohner in 2700 Wohnungen. Am Humboldtring sind Schulen, Kindergärten und Einrichtungen des Gesundheitswesens in großer Anzahl vorhanden. Als besonderer Blickfang gilt der „Nuthepark“, der Gang in die Natur ist zu beiden Seiten mit dem Schlosspark Babelsberg nicht weit.
Über die Bewohner des Stadtteils wollte er nichts erzählen, sagt Rewe Marktleiter Toni Zach, er wolle für alle da sein,wolle jeden bedienen und mit seiner Meinung keinen vor den Kopf stoßen. Ausgestorben wirkt das Einkaufszentrum. Auch Corona hält die Menschen von der Begegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt fern. Die direkte Verbindung zum Zentrum und seine Abgrenzung am Babelsberg machen das Zentrum Ost Dank dieser idealen Lage zu einem sehr attraktiven Wohnraum Potsdams
Ein letztes gezapftes Pils, dann schloss Peter Benedikt die Kiezkneipe, das „Café Piccolo“. „Auf diesem Wege sagen wir danke für die jahrelange Treue Renate Peter und Ingo“
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Peter Bendig hat zuvor noch ein Buch geschrieben mit dem Titel „Vom armen Stoppelhasen zum reichen Schwein“, erschienen im Verlag Tradition. Bendig, der in seinem Leben schon als Stahlkocher, Grenzsoldat, Taxi und Busfahrer und Kneipenkoch gearbeitet hat, ist in Zentrum Ost eine Institution. In seinem Buch schildert er Lebenserinnerungen; und da er jetzt in einem freien System lebe, habe er einfach endlich über das Schreiben wollen, worüber früher in der DDR nicht gesprochen werden konnte. Das kommt an in der Platte.(…) „Ich hätte nicht gedacht dass sich so viele für mein Buch interessieren“ sagte Bendig in einem Interview
Schimmel in den Häusern Sanierungsfall Millionen Grab so wurde es von Eigentümerseite Kohl kolportiert und als Argument ins Feld geführt, um den Wohnraum auch wieder mit einem Neubau zu verdichten, so ist es nachzulesen. „Das ist doch alles voll Schimmel das kostet uns Millionen“ haben die Bewohner der Nutheschlange gehört, teilweise erlebt.Und alles mündete meist sinngemäß in den Satz mit dem die Bewohner von anderen Potsdamern konfrontiert werden: „Das muss abgerissen aber ganz ganz schnell“
Allerdings wurden die Kosten für eine Sanierung von der Pro Potsdam bisher nicht ernsthaft geprüft, so die Vorwürfe der Bürgerinitiative, die Terrassenhäuser retten will. Deshalb ist Oliver Buchin von der Initiative auch überzeugt: „Eine Sanierung wäre günstiger als ein Neubau.“ Andere Bauexperten vermuten Ähnliches, Architekt Hinrich Baller ist davon überzeugt, dass nie eine ordentliche Kostenberechnung für eine Sanierung erstellt worden ist es gebe nur Schätzungen der Pro Potsdam. Der 84 Jahre alte Hinrich Baller, Fotos zeigen ihn jugendlich mit langen weißen Haaren und offenem Hemd, ist ein Architekt, der schon einige markante Bauten entworfen hat. Ein Exzentriker seiner Zunft. So stammen in Berlin von ihm Gebäude und Wohneinheiten etwa am Winterfeldtplatz, den Hackeschen Höfen , am Preußenpark, am Hallensee oder in der Potsdamer Straße. Potsdam könnte sich mit Baller schmücken, denn der Name Baller steht für eine sehr eigenwillige und konventionelle Architektur.
Schon während der Baumaßnahmen, die sich bis 2002 hinzog, gab es einige juristische Streitigkeiten zwischen Architekten und Bauträger. Inzwischen steht der Kopfbau, das Terrassenhaus mit 38 Wohnungen und 200 Stellplätzen leer – eine Sanierung sei einfach zu kostspielig, so die Pro Potsdam. Doch Architekt Baller pocht auf seinen Urheberrecht und vermutet ökonomisches Kalkül des Eigentümers. Unterstützt wird er dabei vom Bund Deutscher Architekten (BDA), der sich auch gegen einen Abriss aussprach. Doch der städtische Bauausschuss ebenso wie der Umweltausschuss lehnten ein Moratorium für den Erhalt vor über einem Jahr ab.
„Immer wenn ich auf der Autobahn fahre, muss ich diese hässlichen Gebäude sehen“ sind so die Meinung einiger Potsdamer.
Gemeint sind die Schmetterlingshäuser was sie wohnen in der Nutheschlange. „Was, Sie wohnen in der Nutheschlange, ein Sanierungsfall, die sollen doch abgerissen werden, habe ich in der Zeitung gelesen“ so erzählen es die Bewohner, dass sie es genauso zu hören bekommen.
Anja Laabs, selbst Bewohnerin, sagt: „Die ganze Nutheschlange wird auf Verschleiß gefahren. Es wird nicht mehr neu vermietet.Leerstand wird gefördert, Grünanlagen nicht mehr gepflegt. Trotzdem wollen sie nicht aufgeben auch gegen den Bebauungsplan 145 weiter kämpfen, der eine Verdichtung von Zentrum Ost fördert, mit dem Natur zerstört werden wird aber auch, so Laabs, „ein ganzer Stadtteil mit seiner Bevölkerungsstruktur.“
Jetzt hoffen sie auf den juristischen Sieg vor Gericht durch Architekt Hinrich Baller gegen ProPotsdam und dann? „Die Einsicht, dass saniert und nicht abgerissen wird“, so Laabs. Die lieb gewonnene Nutheschlange, ein in Deutschland einzigartiger architektonischer Versuch, eine lebende, kreative Schallschutzwand zu errichten, soll Bestandsschutz haben. Das von der anderen Seite der Schnellstraße erlebbare Wohnidyll wollen sie sich im Zentrum Ost nicht nehmen lassen.
Auch aufgrund von Lage, Lage, Lage.
Ulrich Hansbuer